Jeder Mensch muss es mindestens einmal täglich machen, Ärzte empfehlen es fünf mal am Tag und viele übertreiben auch dabei, beim Essen. Gerade in diesem lebenserhaltenden Punkt unterscheidet sich der Mensch vom Tier, denn wir essen nicht nur einfach rohe Lebensmittel, wir bereiten sie auf, verbessern ihre Verträglichkeit, ihre Konsistenz und ihren Geschmack. So hat sich über die Jahrtausende hinweg das Kochen entwickelt.
Im Jahr 1990 tauchte zum ersten mal der Begriff der "Molekulargastronomie" in den Medien auf. Er stammt vom Franzosen Hervé This, einem Chemiker, der in seiner Forschung die physikalischen, chemischen und biochemischen Vorgänge beim Kochen untersucht und beschreibt. Zusammen mit dem Physikprofessor Thomas Vilgis inspirierten die beiden Wissenschaftler viele junge Gourmetköche, die so eine neue Form des Kochens, die sogenannte "Molekulare Küche", kreierten. Wichtig für die Köche ist es, neue Speisen mit neuartigen Kochtechniken zu entwickeln. Aber ist diese Grundidee wirklich neu und revolutionär, wie oft publiziert wird?
Geschichtliche Berichte belegen, dass bereits im 1. Jahrhundert nach Christus in Alexandrien eine gewisse Maria Prophetissa begonnen hat, Nahrungsmittel nach damals unüblichen Methoden zu garen. Durch Ausprobieren erfand sie so den Kerotakis, eine Urform des Schnellkochtopfs. Ebenfalls entwickelte Maria Prophetissa den ersten Destillierapparat, den sie Tribikos nannte. In ihm werden Flüssigkeiten mit unterschiedlichen Siedepunkten voneinander getrennt, so dass seitdem Alkohol oder Essenzen herstellt werden können. Auch Percy Spencer, der Entdecker der Mikrowellen, könnte als Erfinder der molekularen Kochtechnik gelten. Die Lebensmittelindustrie erforscht seit Jahrzehnten innovative Verfahren zur Herstelllung neuer Lebensmittel, wodurch unterscheiden sich nun die industriell hergestellten Lebensmittel von der molekularen Küche?
Die Köche der modernen Haute Cuisine haben sich nicht nur das Ziel gesetzt, neue Kochtechniken zu entwickeln. Ihnen ist bei ihrer Arbeit ebenso wichtig, Lebensmittel zu veredeln und dem Gast eine neue Idee über Essen zu vermitteln. Sie definieren sich nicht mehr als Köche, sondern sehen sich als Kochkünstlers. Die bekanntesten Vertreter der molekularen Küche sind dabei Homaro Cantu, Heston Blumenthal und vor allen Dingen die Brüder Ferran und Albert Adrià. Durch ihre Forschungen und ihren ausgeprägten Geschäftssinn gibt es heutzutage neben ihren Restaurants auch eine große Bandbreite an unterschiedlichen Kochbüchern, DVDs, Fernseh- und Zeitungsberichten und neuerdings auch Produkten, mit deren Hilfe Jedermann auch zu Hause molekulare Kochtechniken ausprobieren kann, ohne sich vorher ein eigenes Labor einrichten zu müssen. Umsetzbar für das Nachkochen am eigenen Herd sind dabei folgende Kochtechniken:
Die Gelificación, die Herstellung von Gelees aus unterschiedlichen und ungewöhnlichen Fonds, Obst- und Gemüsesäften, ist die erste entwickelte molekulare Kochtechnik von Ferran Adrià. Mitte der 1990er Jahre begann er, unterschiedlichste Arten von Gemüsegelees seinen Gästen als Menü anzubieten. Klassischerweise benutzt man zur Herstellung von Gelees, wie Wackelpudding oder Tortenguss, das aus Tierknochen gewonnene Geliermittel Gelatine. Durch den Rinderwahnsinn wurde jedoch die Alge Agar-Agar populär und heutzutage sind weitere Algenprodukte wie Kappa und Iota als Geliermittel auf dem Markt zu erhalten. Die Adrià Brüder vermarkten zudem eine auf pflanzlicher Zellulose basierende Geliermittelreihe, mit denen Gelees in unterschiedlicher Konsistenz zubereitet werden können.
Zu den bekanntesten molekularen Gerichten von Ferran Adrià gehören Sphären von Flüssigkeiten, die durch ihr Aussehen und ihre Konsistenz an Kaviar erinnern, jedoch völlig untypische Geschmacksrichtungen haben wie Melone, Apfel oder Lakritze. Durch den sogenannten Sferificación-Prozess werden Obst- und Gemüsesäfte oder Flüssigkeiten mit einem hohem Alkoholgehalt durch eine Spritze in reaktive Flüssigkeiten wie z.B. Kalziumchlorid geträufelt. Hierdurch entstehen geschmacksintensive kleine Kugeln, die im Innern noch flüssig sind.
Die Emulsificación, die Herstellung von Emulsionen, ist eine weitere molekulare Kochtechnik. Hierbei werden Stoffe, die sich sonst abstoßen und so beim Vermengen ausflocken oder absetzen würden, durch die Zugabe sogenannter Emulgatoren, wie z.B. Sucro, Glice oder Lecite, zu Cremes oder Saucen verarbeitet. Auch hier gibt es eine spezielle Produktlinie von Ferran Adrià.
Mit dem physikalischen Phänomen des Vakuums wird ebenfalls in der molekularen Küche experimentiert. So wird bei der Zubereitung von Fleisch oder Fisch das Lebensmittel in eine Plastikfolie eingeschweißt, dann im Wasserbad gegart, um hinterher mit einem Bunsenbrenner gebräunt zu werden. Eine weitere Anwendungsform wird bei der Herstellung von Pommes Frites verwendet. Hierbei werden vor dem Ausbraten die Kartoffeln mit Hilfe des Vakuum entwässert.
Eine innovative Möglichkeit für die Herstellung von Eis bietet die molekulare Kochtechnik "Arbeiten mit flüssigem Stickstoff". Sicherlich haben viele Chemie- oder Biologiestudenten beim ersten Arbeiten mit dem -210° Celsius kalten Stoff bereits eine große Bandbreite an ungewöhnlichen Lebensmitteln und Alkoholischen Getränken zu Eis verarbeitet. In die Gourmetwelt brachte Heston Blumenthal durch seine Kreation "Sardineneis" diese Technik ein.
Die wohl einfachste aber auch teuerste molekulare Kochtechnik ist das Vergolden von Speisen. Hierzu wird einfach Blattgold auf Nachspeisen, Spagetti oder Schokolade mit einem Pinsel aufgetragen. Dieses letzte Beispiel zeigt, warum es immer mehr Kritiker der molekularen Küche gibt und sie von ihnen als dekadent, effekthaschend und überflüssig gesehen wird. So stellte der Journalist und Gastronomiekritiker Wolfram Siebeck am 05.07.07 in „der Zeit“ fest, dass für ihn die molekulare Küche lediglich entstanden ist, „…als dem Fernsehen die Themen ausgingen und die TV-Redaktionen bei der Arbeit mal was Besseres essen wollten…“